Die interne Kommission zur Aufarbeitung der Chorgeschichte arbeitet noch.
Sobald eine einigermaßen glaubwürdige Interpretation gefunden und die Kommission wieder nüchtern ist, werden die Ergebnisse hier veröffentlicht.

Ein paar wesentliche historische Eckpunkte sollen aber trotz aller Vorläufigkeit schon jetzt verraten werden: Die Knebel-Chöre wurzeln im vorigen Jahrtausend.
Und das kam so:
An einem verregneten Frühsommertag des Jahres 1999 schlurfte der Grundschul-Lehramtsanwärter Thorsten v. Knebel in gedrückter Stimmung durch den verschlafenen Bielefelder Westen. "Wein, Weib und Gesang, Wein, Weib und Gesang.." ging es ihm wieder und wieder durch den Kopf. Nur trank dieser Einsame lieber Bier als Wein, zum zweiten Punkt soll an dieser Stelle aus Diskretionsgründen geschwiegen werden, aber der Gesang - wenigstens hierauf wollte der junge Mann nicht länger verzichten. Schlimme Erfahrungen hatten ihm beinahe jeden Mut genommen - war er doch mit seiner in jeder Thekenrunde wiederholten Forderung, jetzt mal ein Lied anzustimmen, immer wieder auf entschlossenes Kopfschütteln gestoßen. "Nein, nein - wir können nicht singen!" So war die ebenso stete wie niederschmetternde Reaktion auf sein gutgemeintes Ansinnen.
Zu Hause angekommen, ließ sich der angehende Musikpädagoge resigniert an seinem verstimmten Gebraucht-Klavier nieder. Da geschah etwas in Bielefeld mehr als außergewöhnliches: Durch einen winzigen Riss in der dunklen Wolkendecke ergoss sich hell strahlend ein ca. 0,8qm großer Fleck gleißenden Sonnenlichts auf eine der wenigen unmöbliert gebliebenen Stellen des verschlissenen Parketts und ließ diese kleine Fläche für einen Augenblick golden und übernatürlich leuchten. Den von unheilbarer Krankheit getrübten Blick an diese Erscheinung gefesselt, kam es dem Gynäkologensohn aus Werther (Westf.) mit überwältigender Klarheit: "Hier will ich meinen Chor gründen!"
sprach er laut und hieb mit seinem neuen Taststock auf das erleuchtete Holz.

In den folgenden Wochen ging ein Gerücht von Mund zu Mund in Bielefeld: "Da will einer mit lauter Leuten, die nicht singen können, einen Chor gründen - und sogar auftreten!" Die (meist) breite Bevölkerung wandte sich ungläubig ab. Wo immer aber der wackere Junglehrer erschien und seine Idee mit brennender Hingabe vortrug, fand er Unerschrockene, die zu allem bereit waren. Hieß es doch auf die ablehnende Äußerung, man könne doch gar nicht singen, von ihm stets: "Egal, Hauptsache du bist nett!" Darauf zog ein (meist) breites Lächeln auf die Gesichter und in die Seelen der Angesprochenen, und sie folgten ihm. 21 Frauen und Männer kamen zusammen - und ließen sich bei verstimmtem Klavier auf staubigem Parkett zum Singen verführen.

Drei einfache Chorsätze sollten es werden. "Wir treffen uns vier mal, und dann gehen wir auf die Bühne!", so lautete die waghalsige Vorgabe des frisch gebackenen Chorleiters. In den Herzen der Mitstreiter verschwamm jene Grenze, die das Lampenfieber von kalter Angst trennt. Doch es gab kein Zurück: Der Auftritt war mit unbarmherziger Verbindlichkeit geplant. "Ganz oben" hieß die Veranstaltung des Trotz-Alledem-Theaters in der Feilenstraße. Auf dieser (ziemlich) offenen Bühne sollte die grause Mutprobe bestanden werden. Der Termin des öffenlichen Untergangs rückte näher, mit gnadenloser Unerbittlichkeit. Ein Name musste her! In zynischer Selbstverachtung nannten sich die zum Gespött Verurteilten in Analogie zum Schreckbild aller Vokalmusik, den sog. "Fischer-Chören", denn auch "Knebel-Chöre".

Es sollte ein Singularereignis werden, das sich nicht wiederholen durfte. Zum Wohle des ungefragten Publikums und zum Schutz der Leumunde der Beteiligten. So kam es, dass der allererste Auftritt mit dem Titel "Abschiedskonzert der Knebel-Chöre" angekündigt wurde, übrigens durch Jürgen R., der später unter dem Pseudonym Heinz Flottmann zum international gefeierten Star der Kleinkunstszene aufstieg. Mit unter bunten Hosen zitternden Knien und in gebatikte T-Shirts gekleidet bestiegen die zur Demütigung Bereiten die Bühne.
Wir sangen.
Es gab keine Angst mehr. Aber erst tosender Applaus brachte den 21 zu Bewusstsein: Wir haben es überlebt! Und es war wunderbar! Danke, Thorsten!

Der Nucleus accumbens ist eine Kernstruktur in unserem Vorderhirn und wesentlicher Teil des "Belohnungssystems" des Menschen. Er funktioniert, auch ohne dass wir etwas von ihm wissen. Diesem Nucleus haben wir nicht nur die zweifelhafte Befähigung zur Suchtentwicklung zu verdanken. Er hat auch den Bestand der Knebelchöre entscheidend gefördert.

Wenn uns etwas Schönes geschieht, wollen wir es widerholen. Klar, dass alle, die dabei waren, mehr wollten. Thorsten von Knebel musste nicht lange weich geklopft werden - der o.a. Nucleus ist seine Lieblings-Hirnregion. "Auf in Neues!" schallte es durch den Klangkörper. Schon wurde ein nächster "Abschiedsauftritt" in Angriff genommen. Weitere Nichtsänger fanden den Mut, mitzumachen. Nach zwei neuen Anläufen bei "Ganz Oben" aber erfasste Größenwahn den Chor: ein eigenes Konzert, ein ganzer Abend mit den Knebelchören rückte für die Pioniere des Trotzdem-Singens in den Bereich des Denkbaren. Das Freizeitzentrum Stieghorst (Genau 52 Grad nördlicher Breite und 8 Grad 35 Minuten und 48 Sekunden östlicher Länge) bot sich für dieses Experiment geradezu an: Weit genug entfernt, um nicht von jedem Besucher erkannt zu werden und nah genug, um wahren Freunden den Konzertbesuch zu ermöglichen. Außerdem sind die Leute da nett. Zur großen Überraschung der Chormitglieder, des Chorleiters, der Presse und nicht zuletzt des Publikums wurde es ein vergnüglicher und unterhaltsamer Abend. Übrigens mit anschließender Party für alle.

So war das damals, im vorigen Jahrtausend. Wer jetzt wissen will, wie alles weiterging, fragt entweder jemanden aus dem Chor oder guckt unter "Auftritte" oder "Presse". (Vorausgesetzt, der Web-Beauftragte hat da schon Sehenswertes eingestellt, der alte Schluffen!)